Wir werden noch zu Bildungsbürgern

27.05.2012 Mazara del Vallo, Italien
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Wir umkreisen die Insel ja im Uhrzeigersinn und so kommt es immer wieder vor, dass wir andere WOMO-Fahrer, die die gleiche Drehrichtung drauf haben, immer wieder treffen. So auch in dieser Woche, als wir wieder einmal Anka und Karl-Heinz und dann noch Gundi und Sepp zum wiederholten Male trafen. Es ist dann so, als ob man alte Bekannte wiedersieht und man hat ja auch viel von den zuletzt zurückgelegten Kilometern zu erzählen.
In der ersten Wochenhälfte standen bei uns dann wieder viele Steine auf dem Programm. Inzwischen hatten wir ja Agrigento, ziemlich in der Mitte der Südküste Siziliens erreicht. Unser Stellplatz lag in San Leone, ca. 4 km südlich der Stadt, unmittelbar am der Küste. Von hier aus erkundeten wir die Stadt und die Tempelanlagen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Für den Montag hatten wir uns die Altstadt von Agrigento vorgenommen. Wir verließen den Bus am Bahnhof und machten von dort aus einen Streifzug kreuz und quer durch die engen Straßen und Gassen. Nach wenigen Metern erreichten wir die Via Athena, die Flanier- und Einkaufsstraße der Stadt. Wären wir nicht auf Sizilien, würden wir die vielen kleinen Geschäfte in den alten Häusern mit den teils stark verwitterten Barockfassaden als etwas Besonderes empfinden, aber hier auf der Insel besitzt fast jede größere Gemeinde eine ähnliche Einkaufsmeile. Interessanter wurde es dann, als wir die Straße nach rechts verließen und auf vielen, vielen Stufen uns zunächst bis zur Kirche Santa Maria die Greci vorarbeiteten.



Diese Kirche wurde etwa um 1200 n. Chr. auf den Resten des Athenatempels erbaut, der seinerseits etwa 480-460 v. Chr. als dorischer Peripteros errichtet wurde. Über Glasböden im rechten Teil des Chorraumes und im rechten Kirchenschiff können diese Zeugnisse der hellenischen Zeit bewundert werden.
Über weitere Stufen ging es dann bergauf zur Kathedrale San Gerlando mit ihrem unvollendeten, bulligen Campanile. Leider ist die Kirche wegen Bauarbeiten nicht zugänglich, so dass wir uns nur von außen einen Eindruck verschaffen konnten. Der Bewuchs der Freitreppe, die zum Haupteingang der Kirche führt, lässt den Schluss zu, dass dieser Zustand nichts Neues ist.



Der Blick vom Umland auf die Altstadt, aber auch von der Akropolis zu den Tempeln und Ausgrabungsstätten wird durch viele hässliche Hochhäuser aus den 50iger und 60iger Jahren des vergangenen Jahrhunderts verstellt - schade. Insgesamt würden wir sagen, dass Agrigent ein nettes Städtchen sei. Aber wegen der Altstadt lohnt sich kein Ausflug hierher, lägen da nicht in unmittelbarer Nähe die Ausgrabungen und Tempel der im 6. vorchristlichen Jahrhundert von Griechen gegründeten Stadt Agragas. Diese zu besuchen ist ein Muss für jeden Sizilienurlauber. Wir widmeten uns dieser Aufgabe am Dienstag. Mit dem Bus ging es wieder unserem Tagesziel entgegen.
Das Tal der Tempel, wie dieses Hochplateau an der Küste irrtümlich genannt wird, liegt etwa auf halber Strecke zwischen Küste und Altstadt. Hier befinden sich einige der eindrucksvollsten griechischen Tempelbauten. Bereits bei der Anfahrt zum Archäologischen Park von Agrigent wird man von den beiden Hauptattraktionen, dem Concordiatempel und dem Heratempel, von weitem begrüßt. Der Concordiatempel zählt neben dem Tempel des Hephaistos in Athen und dem Heratempel in Paestum zu den besterhaltenen Tempeln der griechischen Antike. Er wurde im 5. Jahrhundert v. Chr. erbaut und weist die klassischen Proportionen von 6 x 13 Säulen auf. Das der Tempel so gut erhalten ist, verdankt er der Tatsache, dass er im 6. Jahrhundert n. Chr. in eine christliche Basilika umgewandelt wurde. Im 17. Jahrhundert n. Chr. wurde die Kirche aufgegeben und dann im 18. Jahrhundert n. Chr. wieder in seine ursprüngliche Form zurückgebaut.
Um den Concordiatempel herum findet man eine frühchristliche Nekropole. Die Gräber sind in den Kalkstein des Hügelzugs gegraben und verbreitern sich nach unten. Auf dem Weg zum Hera-Tempel kommen wir an Überresten der alten Stadtmauer vorbei, die teilweise nicht gemauert, sondern aus dem Fels herausgeschlagen wurde.



Der Heratempel stammt ebenfalls aus dem 5. vorchristlichen Jahrhundert. Welcher Gottheit er aber wirklich gewidmet war, ist bis heute nicht sicher geklärt. Der Tempel wurde durch Erdbeben und Kriege stark in Mitleidenschaft gezogen. Im 18. Jahrhundert begann man die Säulen des Tempels wieder aufzurichten. Heute kann man von den ehemals 34 Säulen wieder 25 aufrecht bewundern.
Anschließend besuchten wir im Westteil der Anlage noch das riesige Trümmerfeld des ehemaligen Olympieion. Hier brauch man wirklich viel Phantasie, um sich die ehemalige Kultstätte auszumalen. Eine Besonderheit des Tempels war, dass das Dach von Atlanten getragen wurde. Der Maler und Archäologe Rafaello Politi ließ 1825 einen dieser Telamone, wie sie auch genannt werden, auf dem Boden wieder zusammensetzen. Das heute dort liegende Exemplar ist eine Nachbildung, das Original befindet sich im Archäologischen Museum von Agrigent.
Den Abschluss bildete dann noch ein Besuch beim Dioskurentempel, dessen im 19. Jahrhundert wieder aufgerichtete Nordwestecke heute das Wahrzeichen von Agrigent ist. Vor dem Tempel findet man das Heiligtum der chthonischen Gottheiten, die älteste Kultstätte Agrigents.
Mit einem gut gefüllten Kopf voller Steine verließen wir am späten Nachmittag wieder den archäologischen Park.



Am Mittwoch ging es dann an der Südküste entlang ein gutes Stück nach Nordwesten - nach Selinunte. Auf dem Weg dorthin legten wir eine Pause an der Türkentreppe (Scala de Turchi) in Realmonte ein. Dieses Naturdenkmal ist ein schroff zum Meer abfallender weißer Kalksteinfelsen, der wie eine riesige Treppe wirkt. Bei unserem Spaziergang am Strand entlang wurden wir von einem eisigen Regen und Sturmböen überrascht. Schnell ging es ins warme Wohnmobil zurück.



Ca. 25 km weiter nordwestlich stand dann wieder die Geschichte Siziliens im Mittelpunkt. Der kleine Ort Eraclea Minoa entstand im 6. Jahrhundert v. Chr. und war zeitweise eine wichtige Grenzbastion zwischen Syrakus und Karthago. Heute findet man auf dem Ausgrabungsgelände noch einige Häuserfundamente und die Reste eines griechischen Theaters. Nach einer kleinen Stärkung führte uns noch ein kurzer Spaziergang zum Capo Bianco, einem ebenfalls schroff zum Meer hin abfallenden Kreidefelsen, von dem man einen herrlichen Blick über die schönen Sandstrände Südsiziliens genießen kann, deren Nutzung aber an den doch sehr mäßigen Wassertemperaturen zu dieser Jahreszeit scheitert.



Den Donnerstag verbrachten wir auf den Grabungsfeldern der altgriechischen Stadt Selinunte. Die Stadt wurde im 7. Jahrhundert v. Chr. als westlichste Kolonie an der Südküste Siziliens gegründet und bestand ca. 400 Jahre lang. Der archäologische Park teilt sich in zwei Bereiche auf. Im östlichen Teil finden wir hauptsächlich die drei großen Tempel E, F und G, die, weil die Archäologen sie nicht eindeutig einer Gottheit zuordnen konnten, einfach mit Buchstaben benannt wurden. Die Tempel F und G sind nur noch riesige Trümmerhaufen, auf denen sich Säulen, Kapitelle und Giebelteile wild durcheinander mischten.



Der Tempel E, vermutlich der Göttin Hera gewidmet, wurde Mitte des 20. Jahrhunderts rekonstruiert, um den Tourismus anzukurbeln, was auch scheinbar ganz gut gelang. Aber nichts desto trotz regt gerade dieses Bild des Tempels, das weithin über das Hochplateau der Steilküste sichtbar ist, zum Träumen an.
Auf dem westlich der Tempel gelegenen Hügel finden wir die Akropolis mit ihren mächtigen Fundamenten. Leider haben auch hier Kriege und Erbeben volle Arbeit geleistet und fast nur noch Steinhaufen hinterlassen, bei deren Betrachtung der Laie ein gutes Vorstellungsvermögen haben muss, um Strukturen zu erkennen. Einzig die Stirnfront des Tempels C wurde 1956 wieder aufgerichtet, was heftig umstritten ist, aber uns Laien doch hilft, die gesamte Anlage besser zu erfassen.



Nun hatten wir für diese Woche endgültig genug von Geschichte und alten Steinen. Nachmittags ging es dann noch einmal ca. 40 km weiter nordwestlich in die Nähe des Städtchens Mazara del Vallo, des wichtigsten Fischereihafens Italiens. Hier werden wir auf einem schönen Campingplatz einige Tage der Erholung genießen.
Wir statteten der Stadt am Samstag einen Besuch mit unseren Fahrrädern ab. In vorchristlicher Zeit war Mazara der Hafen von Selinunt. Aus dieser Zeit sind zumindest im Stadtgebiet keine bedeutenden Zeugnisse erhalten. Heute ist Mazara eine moderne Stadt, wie man sie überall auf der Welt finden kann. Den Mittelpunkt der Stadt bildet die Piazza della Repubblica mit barocken Gebäuden wie dem Bischofspalast und der Kathedrale sowie einer Statue des San Vito.



Bevor wir zu unserem mobilen Zuhause zurückkehrten, deckten wir uns am Fischereihafen noch mit allerlei Köstlichkeiten des Meeres ein, die abends gegrillt wurden.





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