Die letzte Reisewoche hat begonnen. Mit Beginn der neuen Woche hatte der Herbst auch über das Wetter gewonnen. Trübe Nebelschwaden wechselten mit Auflockerungen und leichten Regenfällen. Außerdem blies uns auch ein richtig kräftiger Wind um die Ohren. Wir bleiben die nächsten Tage noch im Nationalpark. Die Menschenmassen des Wochenendes waren verschwunden und auf den Campgrounds waren wir so gut wie alleine. In wenigen Tagen geht auch hier für die meisten Einrichtungen des Nationalparks die Saison zu Ende.
Noch präsentierte sich der Wald in seinen prächtigsten Farben, aber der starke Wind sorgte zu mindest in den höheren Lagen dafür, dass die Bäume kräftig geschüttelt wurden und das Laub zur Erde rieselte. Eine ganze eigenartige Stimmung kommt auf, wenn die Nebelschwaden über die Straße ziehen und die Sicht auf weniger als 50 m zusammenschrumpfen lässt, die Wolken dann ganz plötzlich wieder verschwinden und die volle Farbenpracht des Waldes sichtbar wird.
Am Mittwoch verließen wir den Nationalpark am Südausgang und setzten unsere Blätterreise über den Blue Ridge Parkway fort. Die Landschaft und auch die Straße vom Park und vom Skyline Drive unterscheiden sich kaum, nur dass hier das Land auch kommerziell genutzt wird, wovon man aber so gut wie nichts merkt. Hier und dort sieht man einen Bauernhof, das war es aber auch schon. Der Parkway ist für kommerzielle Fahrzeuge gesperrt und man darf maximal 45 Meilen pro Stunde (72 km/h) fahren. An diesem Tag fuhren wir bis zum Campground am Otter Creek. Das Gebirge ist hier durchschnittlich etwa 900 m hoch, fällt aber zum Otter Creek hin auf ca. 200 m ab, um dann weiter südlich wieder auf über 1000 m anzusteigen. Das Wetter war auch an diesem Tage nicht besonders und so erreichten wir unser Tagesziel auch bereits gegen 13 Uhr. Der spätere Versuch, eine kurze Wanderung oder zu mindest einen Spaziergang zu unternehmen, endete nach gut einhundert Metern bereits in einem Regenschauer.
Am Donnerstag wurden wir aber wieder von einem strahlend blauen Himmel geweckt. Nach dem späten Frühstück ging es ca. 30 km südlich zur Natural Bridge, einer monumentalen Naturbrücke, die der Cedar Creek in Jahrmillionen durch das harte Gestein gebohrt hat. Sie ist 72 m hoch, 33 m breit und hat eine Spannweite von rund 30 m. Die Dicke der Brücke beträgt mehr als 13 m, so dass über sie auch heute noch ohne Probleme der Verkehr der US Route 11 fließen kann. Sie war auf unserer langen Reise die einzige natürliche Brücke, die in das öffentliche Wegenetz eingebunden war.
Von dort aus ging es noch einmal zurück auf den Parkway. Wir übernachteten an den Peaks of Otter, drei prägnanten Bergkuppen, (Sharp Top 1,177 m, Flat Top 1,217 m und Harkening Hill 1,028 m). Trotz des Sonnenscheins glühten die Wälder nicht mehr so, wie in den vergangenen Tagen. Der Regen und der Wind hatten das Blätterkleid der Bäume besonders in den höheren Lagen doch schon stark reduziert.
Freitag verließen wir die Blue Ridge Mountains in Richtung Nordosten und verabschiedeten uns damit auch vom Indian Summer. Mit dem Indian Summer ist es so, wie mit einer guten Flasche Wein. Beim ersten Schluck, oder beim Anblick der ersten bunten Wälder werden die Sinne überrascht. Beim Versuch die Überraschung zu beschreiben, verfällt der Weinkenner dann in die bekannt blumige Sprache. Mir fehlen einfach nur die Worte. Nach einer gewissen Zeit tritt eine Gewöhnung ein. Der Wein schmeckt immer noch gut und die Farbenpracht der Wälder ist weiterhin einmalig, aber es gibt keine Überraschungen mehr. Und auch genauso, wie aus einer Weinflasche der letzte Tropfen geflossen ist, sind auch irgendwann die letzten Blätter gefallen. Die Sinne bekommen eine Erholungspause, um sich für neue, schöne Eindrücke wieder öffnen zu können.
Bei der Fahrt durch die herbstlichen Berge kam uns natürlich unweigerlich der Song "Country roads, take me home" von John Denver in den Sinn, der uns in der ganzen letzten Reisewoche begleitete und uns fast bis nach Hause brachte.
Nach einer Übernachtung in Fredericksburg starteten wir am Samstagmorgen zur letzten Etappe auf dieser Reise. Es ging noch einmal über 150 km durch das Straßengewirr rund um Washington nach Millersville, einem kleinen Ort ca. 30 km südlich von Baltimore. Auf bis zu acht Fahrspuren in einer Richtung quälten sich die Fahrzeuge durch das Ballungsgebiet. Wir waren richtig froh, das uns unsere treue Begleiterin Steffi immer rechtzeitig davon informierte, ob wir uns rechts, links oder geradeaus zu halten hatten; denn für das Wechseln so vieler Fahrbahnen braucht man bei dem Verkehr schon eine ausreichende Strecke.
Nun sind wir also an dem endgültigen Ziel unserer Reise angekommen. In den vergangenen 10 Wochen haben wir von Vancouver bis hierher laut Navi eine Strecke von 12721 km zurückgelegt. Nun bleiben uns nur noch wenige Kilometer bis zur Hafeneinfahrt in Baltimore, die wir am kommenden Mittwoch zurücklegen werden.
Am Nachmittag holten uns dann Anne Marie und ihr Mann Michael auf dem Campground ab und wir fuhren gemeinsam nach Annapolis, der Hauptstadt des Bundesstaates Maryland. Anne Marie lebt hier in Washington DC. Wir hatten sie im Yellowstone Nationalpark kennengelernt und versprochen, uns vor unserer Heimreise bei ihr zu melden.
Gemeinsam machten wir einen Spaziergang durch die hübsche Innenstadt mit ihren Bauten im englischen Kolonialstil. Wir besuchten das Capitol, in dem der erste US Congress tagte und in dem auch der Friedenvertrag von Paris, mit dem England die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten anerkannte, ratifiziert wurde. Annapolis lebt auch heute noch überwiegend von der Verwaltung und von der US Marine, die hier ihre Militärakademie unterhält. Später aßen wir in Reynolds Taverne zu Abend. Das Restaurant ist eines der ältesten Gasthäuser Nordamerikas und seine Geschichte reicht bis in das Jahr 1747 zurück. Die Menuwahl war nicht schwer, denn auf der Speisekarte standen Crab Cake, eine Spezialität von Maryland. Zum Abschluss besuchten wir noch eine Bar in der nahen Mainstreet, bevor es zurück zu unserem mobilen Zuhause ging.
Es war der Abend vor Halloween und wir erlebten so etwas, wie eine vorgezogene Fastnacht. Junge Leute zogen als Gespenster oder ähnliches verkleidet durch die Bars und über die Straßen.
Am Sonntagnachmittag holten uns unsere amerikanischen Bekannten wieder auf dem Campground ab. Dieses Mal ging es zum Great Falls Park in der Nähe von Washington. Auf dem Weg dorthin machten wir noch eine kurze Pause an der Savage Mill, einem ehemaligen Mühlenkomplex, in dem heute allerlei kunsthandwerkliche Produkte angeboten werden. Neben der Mühle findet man die Bollman Iron Truss Bridge, eine ehemalige Eisenbahnbrücke. Sie ist die einzige Brücke dieses Typs, die erhalten blieb.
Anschließend ging es weiter in den Great Falls Park. Auf einer Strecke von weniger als einer Meile stürzt der Potomac in mehreren, bis zu 6 m hohen Fällen insgesamt 23 m in die Tiefe, bevor er dann wieder als träger und breiter Fluss die amerikanische Bundeshauptstadt erreicht.
Am Abend ging es dann noch einmal in ein typisch amerikanisches Restaurant mit eigener Brauerei. Zehn unterschiedliche Biersorten standen auf der Getränkekarte. Einige waren richtig lecker, andere dagegen doch eher gewöhnungsbedürftig. Da ich während unseres USA-Aufenthalts noch keine Spareribs gegessen hatte, holte ich dies jetzt nach und ich muss sagen, meine Wahl war nicht schlecht. Nach vielen Gesprächen und noch einigen Glas Bier ging es zurück zu unserem Wohnmobil, wo wir noch einen Schlummertrunk zu uns nahmen uns anschließend von unseren neuen Freunden verabschiedeten, nicht ohne uns fest in die Hand zu versprechen in Verbindung zu bleiben und hier oder in Deutschland wiederzusehen.