Eine Woche im Hochland

31.01.2010 Copacabana
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Unser nächstes großes Ziel auf unserer Panamericanatour war das rund 870 km entfernte La Paz in Bolivien. Um La Paz zu erreichen benötigten wir 3 Etappen. Am Montag ging es über 350 km von Iquique nach Arica, der nördlichsten Stadt Chiles. Auf dem Weg dorthin besuchten wir die alte Salpetermine Humberstone. Das heute als UNESCO-Weltkulturerbe geschützte Gelände umfasst nicht nur die technischen Anlagen, sondern auch die ganze Siedlung, in der damals die Minenarbeiter mit ihren Familien lebten.



Ob man wirklich von leben sprechen kann, muss man allerdings bezweifeln. Humberstone liegt in der Atacama-Wüste auf knapp 1200 m Höhe unweit des Pazifischen Ozeans in dem zu Hochzeiten ca. 3700 Menschen lebten. Hier herrschen tagsüber Temperaturen von über 40 °C und nachts fallen sie bis nahe an den Gefrierpunkt. Die gewöhnlichen Arbeiter drängten sich mit Frau und Kindern auf engstem Raum. Die Mineneigner waren auch gar nicht dumm. Sie bezahlten ihre Mitarbeiter nicht mit normaler Währung, sondern mit Geld, dass nur innerhalb der Siedlung Gültigkeit hatte.



Die Arbeiter waren also gezwungen, alle zum Leben notwendigen Dinge in den Geschäften der Siedlung zu erwerben, die selbstverständlich auch der Minengesellschaft gehörten. So konnten die Salpeterbarone gleich zweimal an ihren Mitarbeitern verdienen, was praktisch Sklaverei war. Mir kam beim Rundgang der Gedanke, wer wohl heute an den Eintrittsgeldern verdient und mit dem Schicksal der ehemals hier lebenden und geschundenen Menschen ein drittes Mal Geld verdient. Aber das ist wohl nicht nur hier so. Ein Rundgang durch das Gelände kann nur einen sehr vagen Eindruck von dem Leben damals vermitteln.



Am Dienstagmorgen starteten wir dann von Arica zum 150 km entfernten Putre, wo wir vor einem kleinen Hotel auf 3550 m Höhe einen Übernachtungsplatz fanden. Unsere Autos mussten wieder volle Leistung bringen, denn es ging auf der Ruta 11, die die Hauptverbindungsstraße zwischen Chile und Bolivien ist, steil bergan auf über 4600 m Höhe. Dabei mussten wir immer wieder langsam dahin kriechende LKW´s überholen. Das Überholen in über 3000 m Höhe ist nicht so einfach; denn unsere Motoren, die für diese Höhen gar nicht eingestellt sind, brachten deutlich geringere Leistungen und zeigten dies mit schwarzen Russwolken an. Ansonsten gab es außer einer atemberaubenden hochalpinen Landschaft an diesem Tag nichts besonderes zu besichtigen.



Für den Mittwoch stand dann das Abenteuer La Paz auf unserer Tagesordnung. Wir mussten immerhin rund 400 km in etwa 4000 m Höhe hinter uns bringen. Auf dem Weg nach La Paz statteten wir noch dem kleinen Ort Parinacota im Nationalpark Lauca einen Besuch ab. Es ist ein hübsches kleines Bauerndorf, das sich an die Füße der Zwillingsvulkane Pomerape (6250 m) und Parinacota (6330 m) schmiegt.



Anschließend ging es am Lago Chungará vorbei, der angeblich mit seinen 4570 m Höhe der höchste See der Erde sein soll. Bei schönem Wetter spiegeln sich die Zwillingsvulkane in seinem Wasser. Weiter ging die Fahrt zur chilenischen Grenze. Die Ausreise war schnell und problemlos. Nach weiteren 8 km stießen wir dann auch die bolivianische Grenze. Auch hier hofften wir die Formalitäten problemlos abwickeln zu können. Die Personeneinreise war in wenigen Minuten erledigt. Anders sah es mit der temporären Einfuhrerlaubnis für unsere Wohnmobile aus. Man merkte schnell, dass dies ein relativ seltenes Vorkommnis an dieser Grenze war. Wir wurden von Pontius zu Pilatus geschickt und wieder zurück, aber nach etwa zwei Stunden, viel Ausdauer und einigen Bolivianos hatten wir auch diese Hürde genommen. Die nächste Hürde folgte nach weiteren 80 km Fahrtstrecke. Ein LKW, der Kunststoffgranulat geladen hatte, lag quer zur Fahrbahn. Der Fahrer war wohl in einen Sekundenschlaf gefallen und hatte die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren. Wir machten uns schon auf eine Nacht auf halber Strecke nach La Paz gefasst und Inge begann mit den Vorbereitungen für das Abendessen. Doch wir hatten nicht mit dem Pragmatismus und den Improvisationskünsten der südamerikanischen Fernfahrer gerechnet. Nach einem größeren Palaver wo alle Möglichkeiten diskutiert wurden, ging es schnell und zügig an die Lösung des Problems. Ihr könnt euch auf dem nachfolgenden Filmchen selbst ein Bild von der Lösung machen.

Nach ca. zwei Stunden ging es tatsächlich weiter, aber das eigentliche Abenteuer des Tages stand uns noch bevor. Es war die Fahrt durch El Alto, der auf über 4000 m Höhe gelegenen Zwillingsstadt von La Paz und dem anschließenden Abstieg nach La Paz Downtown, dem Durchqueren der gesamten Stadt während der Rushhour und dem Erreichen unseres Übernachtungsplatzes beim Hotel Oberland im Stadtteil Mallasa. El Alto und La Paz zählen jeweils über eine Million Einwohner und die Grenzen zwischen den beiden Städten sind höchsten an der Bebauung zu erkennen. In El Alto lebt die ärmere Schicht, was aber nicht heißt, dass wir dort Slums gesehen hätten. La Paz ist die de facto Hauptstadt Bolivien und beherbergt Regierung und Parlament. Die nominelle Hauptstadt ist Sucre, wo nur der oberste Gerichtshof seinen Sitz hat.



Beim Durchqueren der Stadt mussten wir zunächst einen Abstieg von ca. 900 Höhenmetern bewältigen um anschließend in einem kurzen sehr steilen Aufstieg wieder auf eine Höhe von 3300 m zu gelangen. Nachdem mir die Einfahrt in den oberen Hof des Hotels Oberland nicht gelungen war, (Ich habe kräftig mit dem hinteren Rahmen aufgesetzt. Unser Auto hat aber, Gott sei gedankt, keinen Schaden genommen) war ich ziemlich gestresst von dem Tag. Ich parkte unser Wohnmobil vor dem Tor des unteren Hofes, trank eine Flasche Wein und legte mich schlafen.
Für den Donnerstagmorgen stand die Stadtführung durch La Paz an. Federico, unser Fremdenführer war ausgesprochen gut. Er kannte nicht nur seine Stadt hervorragend, sondern war auch der deutschen Sprache fast perfekt mächtig. Es war natürlich das übliche Sightseeing, aber doch sehr unterhaltsam und interessant dargebracht.



Es ist Regenzeit in Bolivien und so war es kein Wunder, dass es kräftig schauerte, als wir nach dem Mittagessen das Plaza Hotel verließen. Wir fuhren mit dem Bus zurück nach Mallasa, rangierten die Autos, so dass wir auch auf den unteren Hof passten und verbrachten einen ruhigen Abend.



Der Freitag war ein Tag ohne Programm. Wir schliefen lange, frühstückten ausgiebig, erledigten einige notwendige Arbeiten an und in unserem Wohnmobil und fuhren nachmittags mit Helmut und Hiltrud noch einmal mit dem Taxi in die Stadt. Dort bummelten wir durch die Altstadt rund um die Kirche San Francisco über die Märkte, gönnten uns Kaffee und Kuchen, wurden wieder von einem kräftigen Regen überrascht, genossen noch kurz das quirlige Treiben nach Einbruch der Dunkelheit, bevor es dann mit dem Taxi wieder zurückging. Das Lamasteak im Hotel Oberland war köstlich und wir ließen den Abend in geselliger Runde ausklingen.



Ursprünglich war unser Aufenthalt in La Paz gar nicht so lange geplant. Da wir aber nicht nach Cusco können, stand der Samstag für einen Ausflug auf der Carratera Antiqua, einer der spektakulärsten Straßen der Welt zur Verfügung. Früh um 7.30 Uhr ging es mit dem Bus los. Wir mussten den 4650 m hohen Pass Abra La Cumbre überwinden. Auf der Passhöhe wurden wir mitten im Hochsommer vom Schnee überrascht.



Dieser Pass hat mystische Bedeutung für die hier lebenden Menschen. Als wir auf der Passhöhe einen kurzen Fotostopp einlegten, konnten wir unseren Busfahrer dabei beobachten, wie er seinen Flachmann hervorholte, einige Tropfen auf die Erde und die Reifen träufelte und anschließend einen kräftigen Schluck sich selbst gönnte. Er brachte damit an dieser Stelle der Pachamama, der Mutter Erde, ein Opfer und bat sie um Segen für die anstehende Fahrt. Die Bolivianer sind tiefgläubige Katholiken (ca. 80 %), im Zweifelsfall opfern sie aber auch heute noch ihren alten Göttern; denn sicher ist sicher. Hier im mittleren Südamerika sind in der Bevölkerung noch sehr stark die alten Bräuche präsent und man fragt sich, auf welcher Seite der Glaube und der Aberglaube sich befinden. Nach etwa 30 km stießen wir auf das heute nur noch von Touristen befahrene Teilstück der Carratera.



Die Fahrt ist abenteuerlich und galt über lange Zeit als die gefährlichste Straße der Welt. Sie schlängelt sich an einer steil aufragenden Felswand entlang. Oft war es so, dass rechts der Fels fast senkrecht 1000 m in die Höhe ragte und links der Abgrund nicht weniger steil uns den Atem anhalten lies. Die Piste, oder besser der Weg war stellenweise so schmal, dass der Busfahrer Mühe hatten nicht die Felswand zu touchieren und trotzdem alle vier Ränder auf festem Boden zu halten. Nach ca. drei Stunden Abenteuer, während dem wir drei Klimazonen durchquerten, erreichten wir auf 1200 m Höhe Puente Yolosa, um dann durch tropische Plantagen, auf denen unter anderem auch Koka angebaut wird, wieder auf 1750 m anzusteigen.



Koka hilft angeblich auch gegen die gefürchtete Höhenkrankheit. Und so lutschen auch wir von Zeit zu Zeit Kokabonbons, um uns fitt zu halten. In Coroico nahmen wir ein Mittagessen zu uns, um anschließend auf der neuen Straße wieder nach La Paz zurückzukehren. Die neue Straße ist zwar breiter und asphaltiert, wird aber sehr häufig von Erdrutschen verschüttet, was auch unseren Heimweg zeitlich in die Länge zog.
Der Sonntag führte uns dann aus La Paz heraus nach Copacabana. Möglichst früh versuchten wir aus der Stadt zu gelangen, um dem chaotischen Verkehr zu entkommen. Erst mussten wir ca. 200 Höhenmeter bergab fahren, um anschließend in der Stadt wieder 1000 Höhenmeter zuzulegen, bevor wir wieder El Alto erreichten. Dort drehten wir nach Norden ab und erreichten nach weiteren 48 km, den Lago Humaimanca, dem südlichen Teil des Titicaca-Sees.



Der Wettergott war uns zugetan und der See leuchtete in seinem schönsten Blau. Wir legten eine kurze Frühstückspause ein, bevor es nach San Petro weiterging. Hier trennt eine ca. 800 m breite Wasserstraße den Lago Humaimanca vom eigentlichen Titicaca-See. Dieses Wasser mussten wir mit einer Fähre überbrücken. Wer aber glaubt, hier gebe es normale Fähren, der irrt gewaltig.



Kleine Holzpontons, die gerade einmal in der Lage waren ein oder zwei Fahrzeuge an Bord zu nehmen und bei denen man zwischen den Planken das Wasser des Sees sah, mussten uns ans andere Ufer bringen. Bei der Überfahrt schwankte unser Wohnmobil ganz erheblich und wir waren froh, das andere Ufer wohlbehalten zu erreichen. Das Auffahren auf den Ponton ging ja noch, aber wir mussten rückwärts die Fähre verlassen, was bei unserem langen Überhang über die Hinterachse und der steilen Uferböschung gar nicht so einfach war. Aber mit vielen guten Ratschlägen und einigen Zusatzbrettern haben wir es dann doch geschafft. Nun waren noch einmal 40 km bis zu unserem Tagesziel Copacabana zu überwinden. Unterwegs gab es immer wieder Gelegenheit den herrlichen See und seine Gebirge im Hintergrund zu fotografieren.



Copacabana ist ein Wallfahrtsort zu Ehren der Jungfrau Maria und Namensgeberin des weitaus bekannteren Strandes in Rio de Janeiro. Aus ganz Bolivien, aber auch den angrenzenden Ländern Peru und Argentinien kommen jeden Tag Duzende von neuen oder neu gebrauchten Fahrzeugen hierher um gesegnet zu werden.



Auch hier werden wieder christlicher und alter Glaube einträchtig nebeneinander praktiziert. Um auf Nummer Sicher zu gehen, lässt man das Auto sowohl vom Priester mit Weihwasser segnen, als auch vom Schamanen mit glühender Kohle ausräuchern. Viele Südamerikaner sind überzeugt, dass sie mit solchen Rieten ihr Auto von allem Ungemach schützen können, um sich auf diese Art und Weise die Versicherungsprämien zu sparen. Wir haben uns auf dieses Wagnis nicht eingelassen und doch lieber eine Versicherungspolice erworben. Wem das immer noch nicht reichte, bespritzte anschließend sein Auto mit frischen Bier. Wozu das gut war, weiß ich allerdings nicht.

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