Da es am Vortage so gut gelaufen war, wurde die für Montag geplante Kolonnenfahrt abgesagt und jeder konnte wieder nach seinem Gutdünken den Ritt über die Hoppelpiste fortsetzen. Nachdem wir uns noch ca. 35 km an der Südflanke des Lago General Carrera entlang gehangelt hatten, erreichten wir die in vielen Reiseberichten besungene Carretera Austral. Das südliche Chile war bis Anfang der 1980er Jahre auf dem Landwege nur über Argentinien oder aber per Schiff erreichbar. Dies konnte natürlich den Militärs nicht gefallen und so wurde eine bisher ca. 1200 km lange Piste entlang von Gletschern, Seen und durch den Regenwald gebaut, die Carretera Austral. Schnell wurde ihr Nutzen auch von Touristen aller Art entdeckt, die nun Zugang zu fantastischen Naturwundern erhielten. Inzwischen sind große Teile dieser Straße gut ausgebaut und asphaltiert. An anderen Stellen, vor allem im Gebirge, ist sie jedoch noch häufig im Originalzustand und das heißt, dass die Piste höchstens 4 m breit ist und sich Schlagloch an Schlagloch reihen, oder das sie zu einem Waschbrett ausgefahren ist. Bäche queren die Straße, Wasserfälle donnern rechts und links in die Tiefe und mit Steinschlag ist jederzeit zu rechnen. Hier ist das Fahren mit dem Wohnmobil wirklich noch ein kleines Abenteuer. Natürlich gibt es Kritiker, nicht nur in Chile, die den Ausbau der Straße am liebsten verhindern möchten, aber die Carretera Austral hat neben ihrer ursprünglichen strategischen und touristischen Bedeutung auch eine wirtschaftliche Bedeutung für die Menschen, die hier leben. Auch sie möchten, wie überall auf der Welt möglichst schnell von A nach B gelangen und dafür ist der Ausbau unabdingbar. Vielleicht werden unsere Kinder oder Enkel einmal diese Straße wesentlich bequemer bereisen können, wir hoffen allerdings, dass sie sich die Zeit nehmen werden, um trotzdem diese herrliche Landschaft zu genießen. Wir sind noch gezwungen, uns die Zeit zu nehmen - und das ist gut.
Diese Straße begleitete uns die gesamte Weihnachtswoche von Süd nach Nord. Am Montag schafften wir dann noch die ersten 50 km bevor wir gegen Mittag den kleinen Ort Puerto Rio Tranquilo ereichten. Hier standen wir direkt am Ufer des Lago General Carrera. Für 13 Uhr war eine zweistündige Bootsfahrt zu den Marmorinseln angesagt. Die Boote waren eher Kähne, die von einem Außenborder angetrieben wurden und gerade einmal 8 Personen plus Steuermann aufnehmen konnten. Leider war der Wettergott uns nicht ganz hold. Es regnete leicht und vom See her blies ein kräftiger Wind.
Das Boot wurde von den Wellen hin und her geworfen. Nach gut einer halben Stunde hatten wir unser Ziel erreicht. Das Wasser des Sees hat hier in jahrtausendelanger Arbeit bizarre Höhlen und Auswaschungen in den Marmor gewaschen. Man muss sich wundern, dass die filigranen Säulen, auf denen riesige Marmorblöcke ruhen, diesen Kräften standhalten können. Nachdem wir ausreichend Zeit hatten die Naturwunder zu fotografieren, ging die Fahrt mit "High Speed" wieder zurück zur Anlegestelle. Für die Rückfahrt hatte uns der Bootsführer noch extra Ölzeugs gegeben, aber das Wasser spritze so stark, dass unsere Hosen tropfnass wurden.
Am Dienstag ging es ca. 110 km weiter Richtung Norden. Es war eine reine Pistenfahrt. Man sagt, die Landschaft sei hier wunderschön, aber das Wetter hat verhindert, dass wir uns ein eigenes Bild machen konnten. Auf diesem Teilstück erreichten wir den "kalten Regenwald", der uns noch ein ganzes Stück nach Norden begleiten wird. Im Jahre 1991 hat ein Ausbruch des Vulkans Cerro Hudson einen Ascheregen auf diese Gegend niedergehen lassen, der Flüsse anstauen ließ und Teile des Regenwalds überflutete. Die Bäume starben ab und ihre Stämme ragen heute noch gespenstisch aus dem See. Besonders bei der regnerischen Wetterlage bilden die abgestorbenen Wälder eine ganz eigenartige Atmosphäre.
Auf dem Campingplatz, immerhin mit warmer Dusche und einer Hütte mit großem, offenem Kamin, haben wir als Belohnung für die Mühen des Tages, dann eine feucht fröhliche Bottleparty gefeiert.
Nach der Schütteler- und Rüttelerei des Vortages war für Mittwoch überwiegend Asphaltstraße eingeplant. Als wir morgens aus dem Fenster schauten, fielen dicke Schneeflocken vom Himmel und das einen Tag nach Sommeranfang. Hier unten im Tal auf ca. 400 m Höhe blieb der Schnee zwar nicht liegen, aber die Tagesroute führte uns über eine Passstraße, die bis auf 1125 m anstieg.
Mit jedem Höhenmeter nahm das Schneetreiben zu. Auf der Passhöhe wurde es kritisch und wir merkten, wie sich an den Steigungen die Räder im Schneematsch leicht durchdrehten. Es galt, nicht stehen zu bleiben. Zur Not haben wir allerdings Schneeketten an Bord. Nachdem wir wieder unter die Marke von 700 m gekommen waren, waren die Straßen wieder frei und es ging in relativ zügiger Fahrt unserem Tagesziel dem Lago Las Torres entgegen. Unterwegs säumten kilometerlang blühende Lupinien unseren Weg und bedeckten mit ihren Blautönen teilweise ganze Felder. Es war einfach herrlich. Die Carretera Austral, die offiziell Ruta 7 heißt, führte uns an der Cascada la Virgin, einem brausenden Wasserfall vorbei.
Die Regenfälle der vergangenen Tage ließen überall kleinere und größere Wasserfälle zu Tale rauschen und der See war kräftig angestiegen. Wir mussten auf dem Campingplatz zusammenrücken, damit jeder einen halbwegs trockenen Standplatz für die Nacht erhielt.
Am Heiligenabend war unser Tagesziel Puyuhuapi am Seno Ventisquero, einem Seitenarm des Pazifischen Ozeans. Was hier aussieht wie ein Fluss, ist ein Fjord des Pazifiks und damit haben wir erstmals auf dieser Reise den größten Ozean der Erde erreicht. Das Dorf Puyuhuapi wurde 1935 von vier sudetendeutschen Familien gegründet und so konnten wir uns an diesem Tage fast wie in der Heimat fühlen. Aber bevor es so weit war, mussten wir wieder ein richtiges Stück Arbeit hinter uns bringen. Es waren zwar nur ca. 100 km zu bewältigen, aber die hatten es in sich. Die Schotterpiste führte durch dichten Regenwald und war stellenweise gerade einmal 3 bis 4 Meter breit. Die Steigungen in den engen Kurven waren abenteuerlich.
Wir hielten uns mit unserem vorderradangetriebenen Fiat immer dicht hinter dem Kölner Helmut mit seinem starken MAN, der uns im Notfall hätte unterstützen können. Es wurde aber, Gott sei gedankt, nicht notwendig. Kurz vor unserem Tagesziel haben wir dann noch ein herrliches Bad in einer Naturtherme genossen und es uns gut gehen lassen.
Am Abend waren wir zu Gast im Café Rossbach in Puyuhuapi, wo wir gemeinsam den Heiligenabend feiertten. Das Restaurant gehört der Familie Hopperdietzel, die 1935 das Dorf mit gründete. Es gab Truthahn mit verschiedenen Salaten. Nach dem Essen war dann Bescherung. Jeder in der Gruppe hatte für einen Anderen ein kleines Geschenk vorbereitet. Wir erhielten eine kleine Sanduhr aus Ushuaia. Anschließend saßen wir noch zusammen und sangen zu den Gitarrenakkorden von Babsi und Christian noch einige Weihnachtslieder. Ausklingen ließen wir den Abend dann mit Hella und Bernd in unserem Wohnmobil.
Bevor es am Weihnachtsmorgen weiterging, besichtigten wir noch die Teppichweberei, die ebenfalls der Familie Hopperdietzel gehört. Als einer der ersten deutschen Einwanderer in diese Gegend gründete der Textilingenieur Walter Hopperdietzel 1945 die Fabrik. Die Gerätschaften und Maschinen stammen alle aus den Anfangszeiten der Weberei. Das was hier geleistet wird, ist noch richtige Handarbeit. Hier arbeiteten bis vor wenigen Jahren die Frauen des Dorfes und webten rustikale Wollteppiche. Die Weberei war zwischenzeitlich geschlossen, arbeitet seit wenigen Wochen aber wieder. Es werden jedoch nur noch Auftragsarbeiten ausgeführt, die überwiegend über das Internet vertrieben werden.
Anschließend ging es auf das für uns letzte Teilstück der Carretera Austral. Wir durchfuhren noch einmal ca. 100 km Regenwald mit seiner üppigen Fauna und Flora. Sogar einen Kolibri konnten wir beobachten. Er begleitete uns ca. 15 bis 20 m auf unserer Fahrt. Die Straße war hier wieder besonders eng. Wir hatten Riesenglück, dass kein Gegenverkehr kam. Nach insgesamt rund 600 km verließen wir in Santa Luccia die Carretera Austral. Es ging Richtung argentinischer Grenze.
Der Regenwald machte an diesem Tage seinem Namen alle Ehre. Es regnete von früh bis spät den ganzen Tag. Am Tagesziel angekommen, mussten wir feststellen, dass der für die Nacht geplante Stellplatz nicht mehr existierte. Also suchten wir uns rechts und links der Piste breitere Stellen, an denen wir in kleineren Gruppen stehen blieben und so einen etwas anders als geplanten Weihnachtsabend verbrachten. Bei uns an Bord gab es Rinderrouladen mit Blumenkohl und Salzkartoffeln. Eigentlich war es fast wie Weihnachten zuhause.
Am zweiten Weihnachtstag ging es dann noch einmal rund 100 km über eine teilweise recht schlechte Schotterpiste. Bis zur argentinischen Grenze, die wir nach rund 70 km erreichten verlief die Straße noch einmal durch den dichten Regenwald. Unterwegs hatten die Fahrer und Fahrzeuge einige harte Prüfungen zu bestehen, die jedoch von allen souverän gemeistert wurden.
Die anschließenden 200 km über die Asphaltdecke waren dann nur noch ein Klacks. Der patagonische Wind pfiff uns aber wieder kräftig um die Ohren. Am frühen Nachmittag erreichten wir El Bolson, ein kleiner Urlaubs- und Wintersportort am östlichen Rand der Anden. Abends besuchten wir die direkt neben dem Campingplatz gelegene kleine Brauerei. Hier bekommt man neben normalem Gerstensaft auch Spezialitäten wie Schokoladenbier und Honigbier angeboten, was jedoch nicht so ganz meinen Vorstellungen von einem Bier entspricht. Ich blieb lieber bei einem dunklen Bockbier, dessen Wirkung man allerdings schnell unterschätzen kann.
Der Sonntag diente dann der Pflege der Fahrer und Fahrzeuge. Ich habe mich der Gruppendynamik unterworfen und unser Wohnmobil von außen gereinigt, während Inge sich den Innenraum vornahm. Damit ist schon wieder eine spannende, interessante und anstrengende Woche zu Ende gegangen.
Hier in El Bolson hat es sich scheinbar rundgesprochen, dass auf dem Campingplatz eine Ansammlung europäischer Wohnmobile zu besichtigen ist. Ganze Familien tauchen auf und wandern zwischen unseren Fahrzeugen wie auf einer Ausstellung. Obwohl wir sie nicht verstehen können, ist relativ leicht zu erkennen, dass ausführliche Fachgespräche geführt werden.