Ein paar Gedanken danach
01.12.2010 Oberbieber
Am Ende einer so langen Reise gehen einem natürlich viele Gedanken durch den Kopf. Der überraschendste ist vielleicht: "Es ist schön wieder zuhause zu sein". Dann aber, wenn das Jetlag überwunden ist, erinnert man sich sehr schnell all der schönen und spannenden Dinge, die wir in dem vergangenen Jahr erleben durften.
Unsere Reise dauerte, inklusive eine Unterbrechung, insgesamt ein Jahr und eine Woche. Die meiste Zeit davon waren wir in einer Gruppe uns bis dahin völlig fremder Menschen unterwegs. Uns einte nur der Traum, die Panamericana, die vielleicht schönste Straße der Welt, selbst zu "erfahren".
Die Temperamente und die Charaktere waren naturgegeben sehr unterschiedlich. Auch in den Erwartungen an die Reiseleitung unterschieden wir uns erheblich. Da waren diejenigen, die sehr individuelle Vorstellungen von Reiseablauf hatten und andere, die doch lieber dem Leitwolf folgten. Besonders deutlich wurden diese Unterschiede gegen Ende der Reise in Mexiko, als sich vereinzelt Reiseteilnehmer von der Gruppe absetzten und wir nur noch mit 12 von ursprünglich 17 Fahrzeugen gemeinsam in Tombstone, Arizona einliefen. Die Ursache war nicht etwa ein Streit oder Ähnliches, sondern einfach nur unterschiedliche Interessen. Von erfahrenen Gruppenreisenden wissen wir, dass bei einer so langen gemeinsamen Reise, sich häufig Gruppen bilden, die sich gegeneinander abschotten. Das war auf unserer Reise nicht zu beobachten. Natürlich hatte man zu dem einen oder anderen Mitreisenden intensivere Kontakte. Es wurde aber nie störend empfunden, wenn sich einer am Abend seinen Stuhl nahm und ungefragt zu einer Gruppe gesellte.
Es gab natürlich gelegentlich auch Stress. Nach anstrengenden Reisetagen oder nervenaufreibenden Grenzübergängen wurden schon mal deutliche Worte gewechselt. Die Gewitter hatten aber immer reinigende Wirkung und anschließend ging es häufig besser als zuvor.

Der größte Vorteil einer Gruppenreise liegt nicht etwa darin, mit einer erfahrenen Reiseleitung eine vorgegebene und gut dokumentierte Reiseroute zu bewältigen. Darauf hat man Anspruch und man hat ja auch dafür bezahlt. Nein, der größte Vorteil ist der, dass man in einer Notsituation nicht alleine ist.
Bereits nach nur 7 Reisetagen konnten wir diese Erfahrung machen. Wir blieben, im wahrsten Sinne, mit einem Kupplungsschaden mitten in der Pampa liegen. Ohne die Hilfsbereitschaft der Gruppe wäre bereits zu diesem frühen Zeitpunkt unsere Reise zu Ende gewesen.
Wobei ich bei dem Thema Technik angekommen wäre. Wenn man in Lateinamerika in eine Werkstatt geht, um einen Schaden zu beheben, hört man als erstes die Worte: "kein Problem". Aber mit diesen beiden Worten begannen für uns erst die eigentlichen Probleme. Die Werkstätten dort unten sind in keiner Weise auf die modernen, mit allerlei Elektronik und sonstigen Finessen ausgestatteten europäischen Fahrzeuge vorbereitet. Die notwendigen Ersatzteile mussten wir uns selbst aus Deutschland beschaffen. Das macht natürlich jede noch so kleine Reparatur langwierig und teuer.
Nach etwa 10 Tagen waren wir wieder flott. Das Fahrzeug war aber, wie sich wenig später herausstellte, in einem miserablen Zustand. Teile wurden nicht wieder eingebaut, Kabel nicht angeschlossen oder abgerissen. Gott sei gedankt, war dadurch nicht die Funktion lebenswichtiger Elemente betroffen.
Das Schlimmste war jedoch, dass drei Schrauben, mit denen der linke vordere Achsschenkel befestigt ist, nur mit der Hand eingedreht wurden. Nach ca. 1200 km, teilweise auf Schotterpiste, hatten wir bereits eine Schraube verloren, eine weitere hatte sich gut 10 mm herausgedreht und auch die Dritte war locker. Hätten wir das Problem nicht bemerkt, hätten wir wenig später das linke vordere Antriebsrad verloren. Damit wäre nicht nur unser Wohnmobil Schrott gewesen, sondern auch die Gesundheit von Inge und mir wäre aufs Äußerste in Gefahr gewesen.
Unser Vertrauen in lateinamerikanische Werkstätten war damit auf dem Nullpunkt angelangt. Das hatte aber auch etwas Gutes; denn es motivierte mich, die nachfolgenden, kleineren Reparaturen an unserem Wohnmobil alle selbst durchzuführen.
Ähnlich wie uns erging es später auch anderen Tourteilnehmern. Probleme nach einem Werkstattaufenthalt wurden zur Regel. Ich möchte den Handwerkern dort unten nicht den guten Willen, uns zu helfen, absprechen. Scheinbar sind sie aber mit der Komplexität unserer modernen Fahrzeuge total überfordert. Interessant ist noch, dass die ältesten Fahrzeuge in unserer Gruppe die wenigsten Probleme hatten.
Den größten Schrecken während unserer gemeinsamen Tour erlebten wir im Februar, als auf der Etappe von Lima in Richtung Ecuador ein Fahrzeug aus unserer Gruppe außer Kontrolle geriet und sich überschlug. Das Wohnmobil wurde dabei förmlich zerlegt. Wie durch ein Wunder blieben beide Insassen unverletzt. Nicht einmal eine Schramme verunzierte sie. Auch in dieser Situation wurde der gute Gruppengeist wieder spürbar. Die wenigen Habseligkeiten, die die beiden noch retten konnten, wurden auf andere Fahrzeuge verteilt. Sie selbst waren dann bis Quito Gäste in verschiedenen Fahrzeugen.
Das Einleben in die Gruppe und die Bewältigung technischer Probleme waren natürlich nur Voraussetzung dafür, dass die Reise auch ein Erfolg werden konnte. Das eigentliche Ziel der Reise war selbstverständlich eine faszinierende Landschaft mit uns unbekannten Tieren und Pflanzen und fremde Menschen und Kulturen kennenzulernen.
Gleich in Buenos Aires spürten wir, dass die Uhren anders gehen. Nichts hat mehr die Eile, die uns so vertraut ist. Das Zauberwort heißt "manjana" (morgen). Die Menschen scheinen unendlich Zeit zu haben. Was heute nicht erledigt werden kann, wird vielleicht morgen geregelt oder ...
Dieser Eindruck verstärkt sich noch, wenn man die Großstadt verlässt und hinaus auf das buchstäblich flache Land fährt. Südlich der Hauptstadt beginnt die Pampa. Beim Fahren tastet das Auge den Horizont ab und kann doch nicht das Ende der Straße erkennen. Nach wenigen Kilometern ist man dem Großstadtrummel entkommen und es wird einsam. Nur noch selten begegnet uns ein entgegenkommendes Auto. Hier und da müssen wir einen LKW, die hier mit beachtlicher Geschwindigkeit dahin donnern, überholen. Rechts und links der Straße sind Weidezäune und seltener als erwartet sieht man Rinderherden. Guanacos, wild lebende Lamas, sind die ersten fremden Tiere, die wir erspähten. Das erste wirkliche Naturerlebnis erwartete uns auf der Halbinsel Valdes.
Pinguine und Robben jeglicher Art bilden nur den Rahmen für das eigentliche Erlebnis an der Küste der Halbinsel. Stolze 5 bis 6 Meter große Wale der Art Südkaper ziehen hier im Oktober/November ihre Jungen auf. Es ist schon ein besonderes Erlebnis, wenn man diese Riesen beim Spielen mit ihrem Nachwuchs aus nächster Nähe beobachten kann.
Hier draußen, weit weg von jeglichen Großstadtbetrieb, begegnen uns die Menschen äußerst freundlich und hilfsbereit. Auf den Gauchofest in Gaiman war es dann so, dass wir die eigentliche Attraktion waren. Nicht oft verirren sich so viele wohlhabende Europäer hier in die Pampa. Unsere junge Reiseleiterin mit ihren langen blonden Haaren war wohl der Traum vieler südamerikanischer Männer. Sie musste immer wieder mit ihnen vor der Kamera posieren und sich ablichten lassen.
Die Landwirtschaft prägt hier ganz eindeutig das Leben und Pferde gehören, wenn auch nicht mehr unbedingt als Arbeitstiere, wie selbstverständlich dazu.
Nach knapp 2 Wochen erreichte die Gruppe Feuerland, den emotionalen Startpunkt unserer Reise. Durch unsere große Panne war zunächst fraglich, ob wir diesen Punkt auch erreichen würden. Aber was wäre die Reise auf der Panamericana gewesen, ohne den südlichsten Punkt gesehen zu haben. Hätten wir Ushuaia nicht gesehen, käme mir heute die ganze Reise unvollständig vor - wie amputiert.
Es sind diese emotionalen Augenblicke, die das Reisen schön und aufregend machen: Man gelangt an einem Punkt, der einem seit der Schulzeit vertraut ist, aber doch unendlich fern zu sein schien. Dieses Gefühl sollte uns auf dieser Reise noch einige Male überraschen. Ich denke dabei an den Titikaka See hoch oben in Peru in den Anden oder auch an die Aztekenstadt Teotihuacan in Mexiko.
Von Feuerland ging es dann über viele Monate und noch mehr Kilometer immer weiter nordwärts, bis über die Grenze in die USA. Wir verbrachten den Heiligabend als Gäste bei deutschstämmige Chilenen in Patagonien. Wir besuchten die schwimmenden Insel auf dem Titikaka See und lernten das Leben der Indios hier oben auf über 4000 m Höhe kennen. In Kolumbien sahen wir das Elend der Flüchtlinge, die in über 2500 m Höhe im Nebelwald hausen. Wir erlebten aber auch das bunte Treiben und die Lebensfreude in der Karibikmetropole Cartagena.

In El Salvador besuchten wir eine Dschungelschule. Unter für uns kaum vorstellbaren Bedingungen versuchen hier Kinder im schwül heißem Tropenklima etwas zu lernen. Wir hoffen, dass unsere Spende zum Aufbau einer Wasserversorgung ungemindert dieser Schule zugute kommen wird.
Auf dem Weg nach Norden erreichten wir Städte wie Santiago de Chile, La Paz, Lima, Quito, Mexiko, Antigua, Guatemala und viele mehr, die sich in unser Gedächtnis eingebrannt haben und von einen bloßen Namen zu einer echten Erinnerung mutierten. In Quito erhielten wir die Nachricht von der Geburt unserer jüngsten Enkeltochter, wodurch diese Stadt natürlich einen besonderen Stellenwert erhielt.
Auf allen diesen Etappen begleitete uns der längste Gebirgszug der Welt, der im Süden Anden und viel später in den USA und Kanada Rocky Moutains heißt. Vom subarktischen Patagonien bis ins tropische Mittelamerika gibt es wohl kein anderes Gebirge, dass so vielfältig und abwechslungsreich ist. Gletscher, tiefblaue Seen, schneebedeckte Vulkane, brennend heiße Wüsten, Regenwälder und vieles mehr hinterließen einmalige Eindrücke in unserer Erinnerung. Die Tierwelt hielt jeden Tag Überraschungen für uns bereit. Ob Brüllaffe im Urwald des Amazonas Quellgebietes, ob Kondore über den Anden Gipfeln, ob große, bunte Schmetterlinge im Regenwald oder später Bären und Elks in den Rockies, es wurde nie langweilig.

Gigantisch sind natürlich auch die Naturwunder, die der Westen der USA und Kanada für den Besuch bereit hält. Stellvertretend möchte ich nur den Grand Canyon, das Monument Valley, den Yellowstone Nationalpark und den Icefield Parkway erwähnen, die jeder von unendlichen vielen Bildern und Filmen her kennt, aber in der Realität unübertroffen sind.
Wir haben im vergangenen Jahr 18 Länder berührt, rund 40 mal eine Grenze überschritten, nie geahnte Höhen von über 4900 Meter erreicht, 45 000 km mit dem Wohnmobil zurückgelegt und noch einmal rund 45 000 km im Flugzeug verbracht.
Am 6. November 2010 setzten wir wieder unsere Füße auf bundesdeutschen Grund. Am 27. November erreichte auch unser Wohnmobil den Hamburger Hafen, womit das größte Reiseabenteuer unseres Lebens einen guten Abschluss fand.
Ja, es gab auch Stress und nicht jeder Tag war Sonnenschein, aber das gehört dazu. Wir haben viel Neues gesehen und erlebt, haben Menschen in ihren manchmal sehr bescheidenen Lebensumstände kennengelernt und haben neue Freundschaften geschlossen. Was will man mehr. Wir möchten keinen Tag des zurückliegenden Jahres missen und danken Allen, die uns auf der Reise begleitet haben, egal ob auf den vielen Tausend Kilometern im Wohnmobil oder zu Hause beim Lesen unserer Reiseberichte.

Bis bald Inge und Heinz